In der GDCh-Zeitschrift Nachrichten aus der Chemie gab es eine sehr ausführliche und gut dokumentierte Debatte über PFAS
https://www.gdch.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Weitere_Publikationen/PDF/PFAS-ThinkTank-Arbeitspapier_2023.pdf
Es begann mit einer Stellungnahme von Vertreterinnen und Vertreter von GDCh-Fachstrukturen aus Industrie und Hochschule im GDCh-ThinkTank-PFAS. Tenor: der Regulationsvorschlag -
nämlich PFAS als Gruppe zu regulieren sei
- unverhältnismäßig
- entspräche nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßgkeit
- es fehle wissenschaftliche Evidenz, der Vorschlag entspreche nicht dem Forschungsstand
- es fehlte Risikobereitschaft
- es fehlen Forschungsaufträge für Alternativen und Recycling
in das gleiche Horn stößt - nicht weiter überraschend - der VCI
https://www.vci.de/services/politikbrief/vci-politikbrief-pfas-pauschalverbot-ist-keine-loesung.jsp?fsID=102294
Viele Teile einer Industrieanlage (Dichtungen, Schmierstoffe, Beschichtungen, isolatoren, Membranen, Ventile) können ohne PFAS nicht betrieben werden, Probleme würden nur verlagert und die
Industrie werde abwandern.
Pro- und Contra Regulation in den Nachrichten aus der Chemie 9/23 (nicht frei zugänglich)
Pro: abgestellt auf Wirkungen auf den Menschen, Bioakkumulation und steigende Gehalte in der Umwelt, Lorena Herkert, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Contra: Industrie befürchtet Präzedenzfall einer Regelung ohne "Einzelfallprüfung". PFAS seien im Moment in vielen Anwendungen nicht zu ersetzen.Thomas Holtmann, BDI
Ausführliche Dokumentation: https://www.gdch.de/service-information/presse-und-oeffentlichkeitsarbeit/stellungnahmen-und-positionspapiere/stellungnahme-und-diskussionen-der-gdch-zu-pfas.html
z.B. https://gdch.app/article/die-suche-nach-der-achillesferse-4140286: Artikel über Eliminierungsverfahren um PFAS, die aus
Trinkwasser per Ionenaustauscher entfernt werden zu zerstören, der allerdings vielleicht nicht deutlich genug zum Ausdruck bringt, dass all diese neuen Verfahren zur Zeit z.B. für die
Trinkwasseraufbereitung weder praktikabel noch finanzierbar sind und grundsätzlich von der Allgemeinheit bezahlt werden.
Die GDCH dokumentiert Leserbriefe und die Stellungnahmen vom Vorstand der GDCh-Fachgruppe „Umweltchemie & Ökotoxikologie“
https://www.gdch.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Weitere_Publikationen/PDF/Nachr_Chem_12__2023-Korrespondenz.pdf
Stellungnahme der Fachgruppe zum PFAS-Thinktank Papier:
"Wir möchten betonen, dass viele Mitglieder unserer Fachgruppe seit vielen Jahren zu Verbreitung und Auswirkungen von PFAS forschen und dabei wichtige Erkenntnisse zusammengetragen haben. Diese
Forschung ist nachweislich in den Beschränkungsvorschlag der ECHA eingeflossen, an dem auch GDCh-Mitglieder
mitgewirkt haben. Die Behauptung der GDCh-Stellungnahme, dass der ECHA-Vorschlag „isoliert von wissenschaftlicher Forschungs- und Entwicklungsarbeit“ formuliert worden ist, diskreditiert daher
die wissenschaftliche Leistung dieser Kolleginnen und Kollegen."
Allgemein findet sich in den Stellungnahmen von Wissenschaftlern aus dem Umkreis des BUND eine massive Irritation darüber, dass die Industrie annimmt, es gelte ein "Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit" und es sei eine abschließende wissenschaftliche Klärung nötig. Tatsächlich gilt in Deutschland das Vorsorgeprinzip und ist in nationalem Recht und
verschiedenen internationalen Konventionen festgelegt. Danach reicht ein begründeter Verdacht aus, Anwendungen zu verbieten oder einzuschränken. Eine abschließende Klärung (wir machen hier
Wissenschaft) gibt es so gut wie nie. Wo es eine "Verhältnismäßigkeit" in der Abwägng zwischen großflächiger Umweltzerstörung und dem Profitinteresse einiger Konzerne geben sollte bleibt
Geheimnis des Think-Tanks.
Vielleicht ist es auch nötig darauf hinzuweisen, dass die angestrebte EU-Regulierung großzügige Übergangsfristen und sogar in - wohlgemerkt begründeten - Fällen unbeschränkte
Ausnahmeregelungen vorsieht.
Gerd Rippen fasst in einem Leserbrief (https://www.gdch.de/fileadmin/downloads/Publikationen/Weitere_Publikationen/PDF/Nachr_Chem_12__2023-Korrespondenz.pdf)
das Fazit eines Reviews (Environ. Sci. Eur. 2023, https://doi.org/10.1186/s12302-023-00721-8) zusammen:
"1. Tausende PFAS mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften, aber sehr hoher Persistenz
2. Toxizität gegenüber Fischen, Amphibien, Wirbellosen und Insekten im unteren μg/L-Bereich
3. Akkumulation längerkettiger PFAS in aquatischen Organismen und der terrestrischen Nahrungskette
4. zum Teil hohe Mobilität
5. in Labortieren und dem Menschen vielfältige toxische Wirkungen, unter anderem hohe Immuntoxizität
6. Konzentrationen in Nahrungsmitteln und Trinkwasser nur unzureichend geregelt oder kaum erschöpfend regelbar
7. Ersatzstoffe ebenfalls persistent oder in persistente PFAS abgebaut
8. Persistenz der ultrakurzen PFAS bei fortwährend weiterem Eintrag (zum Beispiel Konzentration der Trifluoressigsäure in Flüssen verzehnfacht in nur 20 Jahren)
9. Monitoring von Umwelt-Einträgen und -Konzentrationen der Vielzahl von PFAS unzureichend
10. analytische Methoden nicht für alle PFAS unterschiedlicher Eigenschaften entwickelt
11. erhebliche Anstrengungen zur Sanierung PFAS-kontaminierter Standorte nötig
12. jährliche Kosten für PFAS-verursachte Gesundheitsschäden in USA und Europa geschätzt auf 40 bis 80 Mrd. €
13. Reduzierung/Verbot einzelner PFAS bedeutet keine grundlegende Risikominimierung, weil wiederum andere PFAS als Ersatzstoffe in Produkte und Umwelt gelangen, deren Eigenschaften ähnlich der
bekannten sein können.
Deshalb: PFAS sind als Gruppe nicht beherrschbar,und es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, sie soweit irgend möglich zu vermeiden. Ein Verbot der PFAS als Gruppe ist unter anderem
notwendig, um weitere PFAS als Ersatzstoffe zu verhindern."
Bernd Wille
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