· 

Bisphenol A

Die Europäische Umweltbehörde weist auf nicht mehr akzeptable Belastung der Bevölkerung mit Bisphenol A hin.

Meldung: (lesenswert)
https://www.eea.europa.eu/publications/peoples-exposure-to-bisphenol-a/
Originalarbeit:
Re-evaluation of the risks to public health related to the presence of bisphenol A (BPA) in foodstuffs
EFSA Panel on Food Contact Materials, Enzymes and Processing Aids (CEP), Claude Lambré, José Manuel Barat Baviera, Claudia Bolognesi, Andrew Chesson … See all authors
First published: 19 April 2023
https://doi.org/10.2903/j.efsa.2023.6857

Hintergrund:
schon seit Jahren gibt es eine Debatte über die Benutzung von Epoxidharzen in Babyartikeln, da die Wirkung von Bisphenol A als "endogener Disruptor" also als hormonell wirksame Substanz bekannt war.
Aufgrund von neuen Studien sind jetzt die Grenzwerte für den Stoff zum zweiten Mal erniedrigt worden. Die oben zitierte "Scientific opinion" bringt neue Daten zur Toxizität mit den Resultaten der HBM4EU-Studie zur Belastung der Bevölkerung zusammen und kommt zu verheerenden Schlussfolgerungen. Bei bis zu 100% der Teilnehmer aus 11 EU-Staaten war die Belastung oberhalb der tolerierbaren Schwelle, bei 83% in Deutschland.

Bisphenol A ist Bestandteil der weitverbreiteten Epoxid-Harze und z.B. der Themopapiere für handelsübliche Drucker von Registrierkassen.

Es handelt sich um ein Problem mit Ansage: bei der Entwicklung der Epoxidharze brauchte man ein Reagens mit 2 reaktiven Gruppen und verfiel in der 1930 er Jahren bei der IG Farben auf einen Stoff, der 1936 für ein Forschungsprogramm benutzt worden war (https://de.wikipedia.org/wiki/Bisphenol_A), das hormonelle Wirkungen bei Mäusen untersuchte. Grund war wahrscheinlich die billige und unkomplizierte Synthese. Leider hydrolysieren die Bindungen in diesen Harzen (Esterbindungen) langsam, sodass eine geringe Freisetzung von Monomeren stattfindet. Bei hormonell wirksamen Substanzen genügen allerdings extrem geringe Konzentrationen um Wirkungen hervorzurufen.
Epoxidharze sind weit verbreitet und was in Paddelbooten unproblematisch ist führt bei Lebensmittelkontakt zu Schwierigkeiten. Epoxidharze kleiden Konservendosen aus und die verwandten Polycarbonate finden sich in Getränkeflaschen und Rohren und auch auf der Innenseite von Babyflaschen.
Trotz ihrer guten mechanischen Eigenschaften sind sie ersetzbar: in Konservendosen z.B. arbeitet die Industrie seit Jahren an Polyesterverbingungen, die zumindest in vielen Fällen sehr ähnliche Eigenschaften haben. Es gibt relativ problemlose Ersatzverbindungen für Polycarbonate (Getränkeflaschen, Wasserrohre).
Das grundsätzliche Problem ist bekannt: solange es keinen Marktdruck oder ein Verbot (Babyflaschen) gibt ändert sich nichts. Speziell bei Verbindungen ohne Deklarationspflicht kann der Markt nicht wirken. Die Industrie wehrt sich mit Zähnen und Klauen gegen jede Massnahme.
Ein besonderer Fall ist Thermopapier, das wir alle täglich in der Hand haben: hier wurde BPA relativ schnell (aber nicht vollständig) durch die chemisch sehr ähnlichen BPS und BPF ersetzt. Das Muster ist bekannt und nennt sich "regrettable (bedauerliche) Substitution". Von den Strukturen von BPS und BPF her  ist klar, dass mit sehr ähnlichen Eigenschaften und Problemen zu rechnen ist. Jetzt ist wieder ein Jahrzehnt an toxikologischen Studien und Gremienarbeit nötig um diese Stoffe zu charakterisieren und abzuschaffen. Danach wird man wahrscheinlich den armen Ladeninhabern (die tatsächlich keine Schuld an der Misere trifft) ein weiteres Jahrzehnt einräumen um die Geräte auszutauschen.

Wirkung auf die Umwelt und Tierwelt: es liegen wenige Daten vor, Effekte auf Pflanzen und auf Reproduktion und das Geschlechtsverhältnis von Nagetieren, Amphibien und Fischen sind bekannt.

 

Die EU-Kommission hat eine Initiative zum Verbot von BPA und anderen Phenolen in Materialien mit Kontakt zu Lebensmitteln angekündigt.

 

Ergänzung 10.10.23:

die Initiative bezieht sich auch auf eine Reihe weiterer Bisphenole, sieht  aber großzügige Übergangsfristen vor (für pment für die gesamte Lebensdauer).

Details: https://food.ec.europa.eu/system/files/2023-08/cs_fcm_wg_20230804_qandas.pdf

 

Bernd Wille

Kommentar schreiben

Kommentare: 0