StZ Innenstadt, 3.3.23 Jan Georg Plavec Praktisch und giftig
Sabine Holmgeison kommentiert dazu aus lokaler Sicht:
"Die Überprüfung an 1500 Messstellen in Deutschland ergab auch in unserer Umgebung schlechte Ergebnisse. Es gab relativ wenige Messstellen im Südwesten, bei uns in der Nähe 2. Die Herkunft scheint auch schon geklärt, es gab bei uns 2 größere Tuch- und Deckenfabriken. Um die Deckenfabrik Calw, die etwa 20 Jahre stillgelegt ist, gibt es hohe Werte und auf einem Acker in der Nachbargemeinde. Die Landwirte haben sich aus den Deckenfabriken die gefärbten und behandelten Woll- und Deckenreste geholt und als Dünger auf die Äcker ausgebracht. Das war anscheinend gängige Praxis und so kann man davon ausgehen, dass auch bei uns in Weil der Stadt, wo die Deckenfabrik 1998 geschlossen wurde, erhöhte Werte in Böden und Wasser zu finden wären.
Da die Bodenseewasserversorgung, von der wir zu 100% das Trinkwasser beziehen, bis 2050 die benötigten Mengen nicht mehr liefern kann, sollen bei uns jetzt eigene, bestehende Quellen erschlossen werden. Damit hätten wir wahrscheinlich PFAS direkt auch in unserem Trinkwasser.
Ganz am Rande bemerkt: die Decken aus Weil der Stadt und Calw waren bekannt und wurden gern gekauft, waren aus Schafwolle und hochwertig verarbeitet. Meine Mutter hat mir für meine Tochter, als die 1994 geboren wurde, eine Decke aus Calw geschenkt. Die hielt schön warm, ich konnte sie gut drin einwickeln, aber es wurde auch dran genuckelt. Wenn ich heute dran denke ... Die Decke habe ich noch, sollte man sie mal untersuchen lassen?"
Einige Bemerkungen zur Debatte:
Man muss bei chemischen Verunreinigungen etwas auf die Chemie schauen:
Die eigentlich problematische Stoffgruppe im Bereich PFAS sind Fluorverbindungen, die Fetten bew. Tensiden, also "waschaktiven" Substanzen ähneln. Es handelt sich um PFAA (Perfluorierte Säuren) und PFAA Vorläufer. Entscheidend ist ihre fett- und wasserabweisende Wirkung und ihre extreme chemische Stabilität.
Sie sind nicht zu verwechseln mit Teflon - fluorierten Homopolymeren (Bratpfanne), die selbst eher unproblematisch sind, bei deren Produktion aber PFAA eingesetzt werden, die (wie fast überall) ersetzbar sind. Es gibt spezielle Polymere, die wiederum zu PFAA abgebaut werden und daher problematisch sind. Diese Gruppen sind nicht zu verwechseln mit fluorierten Kältemitteln z.B. in Wärmepumpen . Die beeinträchtigen zwar die Ozonschicht, sind aber schon optimiert und nicht mehr so schlimm wie ehedem und können z.B. relativ problemlos durch Butan ersetzt werden (kaufen Sie die neueste Generation Wärmepumpe !).
Fluorierte Medikamente und Pestizide sind in der Regel abbaubar (evtl. zu Problemsubstanzen), die Schwierigkeit liegt hier aber eher in ihrer Wirkung und Persistenz.
Es handelt sich bei PFAS (speziell PFAA) um eine Stoffklasse von Tausenden von Substanzen. Bei Verbot von Einzelsubstanzen werden sie einfach ausgetauscht gegen eine verwandte Substanz. Nach Jahren von Forschungsanstrengungen kann dann nachgewiesen werden, dass diese - Überraschung - auch toxisch ist. Wenn also irgendwer über Verbote von Einzelsubstanzen diskutiert ist das irreführend, im schlimmsten Falle Lobbyarbeit.
Chronologie: toxische Wirkungen von PFAS sind den Herstellern seit den 60er Jahren bekannt, wurden jedoch erst 2005 offiziell zugegeben.
Seit 18 Jahren wird über Verbote diskutiert.
Steigende Gehalte in Wasser und Umwelt werden seit Jahren beklagt, etliche "Störfälle" wurden lokal beklagt. Jetzt erst ist die Debatte in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Jetzt (EU-Zeitmassstab, also seit 5 Jahren) gibt es eine Initiative auf EU-Ebene, die gesamte Substanzklasse zu verbieten. Das ist gut aber langsam (dauert minimal bis 2025) und wird wieder zu komfortablen Übergangsfristen von Jahren oder Jahrzehnten führen - zum Beispiel bei Feuerlöschschäumen, für die es seit 10 Jahren Alternativen gibt.
Ein sehr schwieriges Kapitel ist Trinkwasser. Die neue EU-Trinkwasserrichtlinie (2020) kann in bis zu 20 % der Wasserwerke zu einem erheblichen Mehraufwand bei der Reinigung führen. Nur so kann eine weitverbreitete Belastung reduziert werden.
PFAS sind im Blut vieler Jugendlicher nachgewiesen, inn 14,3% davon in besorgnisereregenden Konzentrationen über dem empfohlenen Level der Europäischen Nahrungsmittelbehörde.
PFAS sind in Hunderten von industriellen Prozessen und werden dort nur ersetzt wenn man die Firmen dazu zwingt. Wir brauchen deshalb jetzt eine Deklarationspflicht speziell für PFAS in problematischen Anwendungen um diesen Prozess in Gang zu setzen. Lokale Verbote helfen: sie haben z.B. für Fast-Food-Verpackungen in den Niederlanden klaglos funktioniert, Maine hat den Einsatz in Kosmetik verboten.
Bernd Wille
zu den Wolldecken: die Anlaytik kostet mehr als eine Wolldecke. Ich persönlich würde sie entsorgen (Müllverbrennung) obwohl auch das nicht unproblematisch ist. Ich habe auch einige Verdachtsfälle in meinem Haushalt.
( 13.3.23: Differenziertere Darstellung der Stoffgruppe ergänzt.)
Quellen:
Belastungen in Deutschland mit Karte:
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/pfas-chemikalien-deutschland-101.html
Europaweit:
unser PFAS-Paper
https://www.nabu-bfa-oekotox.de/2021/06/15/pfas-polyfluorierte-tenside/
neuere Quellen:
https://www.nabu-bfa-oekotox.de/2022/10/24/quellen-zu-pfas/
Belastung von Teenagern:#
https://www.hbm4eu.eu/wp-content/uploads/2022/06/Policy-Brief-PFAs_DE.pdf
Trinkwasser, Wasser
Besonders geeignet zum Einstieg:
Reportage der Funk-Agentur (ARD und ZDF für junge Erwachsene)
https://www.youtube.com/watch?v=ovCvW22ol3Y
(Bernd Wille)
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