Eine Anregung für die Bekleidung bei ihrem nächsten Frühjahrsspaziergang, basierend auf Hinweisen des Bundesamts für Verbraucherschutz und Landwirtschaft – jedenfalls sollte Sie dieser in die Nähe eines gerade besprühten Ackers führen.
Minimalanforderungen sehen so aus:
"Nicht zertifizierte Arbeitskleidung, bestehend aus einer langärmeligen Jacke und einer langen Hose oder einem Overall, ist ebenfalls geeignet, sofern das Material aus einem Mischgewebe aus Baumwolle und Polyester mit einem Mindestanteil von 65 % Polyester und einer Grammatur von mindestens 245 g/m² besteht."
("Persönliche Schutzausrüstung beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln" des Bundesamtes für Verbraucherschutz BVL 2020)
Je nach Substanz kann auch mal ein Schutzanzug nötig sein. Leider sieht man das nicht an der Kleidung des gerade aktiven Landwirts, der sitzt nämlich meist in einer abgedichteten Kabine.
Lassen wir die Polemik mal beiseite. Es handelt sich um sinnvolle und notwendige Maßnahmen.
"Auch für den Schutz der Gesundheit gelten seit März 2019 verschärfte Bestimmungen. Landwirte müssen sich zum Beispiel Schutzkleidung anziehen, wenn sie Pflanzenschutzmittel auf den Acker ausbringen und dies in der Gebrauchsanleitung festgelegt ist – sonst droht ein Bußgeld. Auch für Nachfolgearbeiten auf den behandelten Flächen können Maßnahmen zur Risikominderung verbindlich vorgegeben sein."
(Faltblatt BFR: Pflanzenschutzmittel sicher anwenden und gesund bleiben, 21.1.20)
Was also tun?
Unmittelbare Infos und Praktisches:
PAN-Germany hat ein sehr informatives Faltblatt zusammengestellt:
https://pan-germany.org/pestizide/pestizid-abdrift-antworten-auf-haeufig-gestellte-fragen/
vom Umweltinstitut:
https://umweltinstitut.org/landwirtschaft/pestizide-abdrift/
Grundsätzlich (PAN-Papier):
"Vom Landwirt sind die sogenannten "Grundsätze der guten fachlichen Praxis im
Pflanzenschutz" einzuhalten. Diese verlangen unter anderem, dass zu Wohngebieten, Garten-,
Freizeit- und Sportflächen "ausreichende" Abstände eingehalten werden. ... So darf in Flächenkulturen (wie z. B. Getreide) ein Abstand von 2 m und in Raumkulturen (wie Obst, Wein oder Hopfen) ein Abstand von 5 m nicht unterschritten werden. Die Mindestabstände gelten zu Grundstücken mit Wohnbebauung, zu privat genutzten Gärten, zu benachbarten Wegen und zu Flächen im Sinne des §17 des Pflanzenschutzgesetzes wie öffentliche Parks und Gärten, öffentlich zugängliche Sportplätze einschließlich Golfplätze, Schul- und Kindergartengelände, Spielplätze, Friedhöfe sowie Flächen in unmittelbarer Nähe von Einrichtungen des Gesundheitswesens."
"Die "gute fachliche Praxis im Pflanzenschutz" schreibt vor: "keine Spritzeinsätze bei
Windgeschwindigkeiten über 5 m/s oder bei Temperaturen über 25 °C; Randbehandlungen
möglichst einseitig in die Behandlungsfläche hinein erfolgen lassen"
Bei Randabständen von 2 m ist der sprühende Landwirt dann meist weiter von der Spritzdüse entfernt als ein unvorsichtiger Spaziergänger. Zweckdienliche Hinweise siehe oben.
Leider ist die Belastung nicht auf Spaziergänger begrenzt. Pestizide finden sich verstärkt auch in Innenräumen in Gebieten mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung (1).
In Frankreich ist man da etwas weiter. Es gibt eine andauernde Debatte über Abstände, wobei immerhin die französische Justiz - allerdings noch nicht der Gesetzgeber – schon auf den Gedanken gekommen ist, Abstand könne etwas mit Gefährlichkeit zu tun haben. Daher unterscheidet man CRI (2)-(sicher karzinogene, mutagene und toxische Substanzen) und CRII (möglicherweise karzinogene, mutagene oder toxische Substanzen) und verordnet Abstände von 10 und 20 m. Das zumindest hat der Verfassungsrat (Äquivalent zum Verfassungsgericht) dem französischen Gesetzgeber vorgegeben - es fehlt nur noch die Umsetzung, nicht zu reden von der Kontrolle (3) (zur Klassifizierung:(2)).
Es handelt sich hier nicht darum, unseren Bauern das Leben noch schwerer zu machen sondern in ihrem und unserem Interesse über Industrie- (und Gesetzes-)vorgaben zu reden, die in dieser Form einfach keinen Sinn ergeben, weder ausreichend noch realisierbar oder gar kontrollierbar sind und daher ein sehr zwiespältiges Licht auf die eingesetzten Substanzen werfen.
Wenn es sich nur um die Tröpfchen handelte, die den Spaziergänger treffen wäre das unangenehm aber vielleicht beherrschbar. Leider ist diese lokale Abdrift nicht das einzige Problem. Tatsächlich verbreiten sich Pestizide – und sogar die weniger flüchtigen– weitflächig (4).
Da wäre das Problem mit der Belastung in Obst- und Weinbaugebieten. Hier gibt es eine Reihe von Studien, die weiträumiges Vorkommen von Pestiziden zeigen.
Moderne Analytik kann kleinste Spuren toxischer Substanzen erfassen. Es ist dann oft nicht einfach, festzustellen ob die gefundenen Konzentrationen schon schädliche Wirkungen haben. Das ist geradezu das klassische Gegenargument der chemischen Industrie. Es gibt allerdings zu denken, wenn das Gras auf Spielplätzen in Südtirol die zulässige Belastung von Spinat für den menschlichen Verzehr überschreitet (5). Das wurde wohlgemerkt gemessen nachdem die Behörden sich jahrelang um eine Verringerung der Belastung bemüht haben.
Analog: wenn in Studien steigende Konzentrationen von bekannterweise schwer abbaubaren Substanzen in vorher unbelasteten Gegenden gefunden werden kann man mit gutem Grund annehmen, dass wir auf ein Problem zulaufen (und eventuell etwas tun bevor die Sache akut wird).
Das gilt umso mehr wenn wir die Wirkungen deutlich sehen (DINA-Studie , Kleingewässermonitoring siehe nächster Blog-Eintrag oder hier) ohne die exakten Mechanismen in jedem Einzelfall aufweisen zu können.
Eine wichtige Konsequenz aus neueren Ergebnissen ist, dass neben der Abdrift auch der Oberflächenabfluss berücksichtigt werden muss, der in den naheliegenden Gewässern landet.
Selbst Monsanto bzw. Bayer mussten unter diesem Problem leiden als sie zusätzlich zu Glyphosat eine weitere Herbizidresistenz in ihre gentechnisch veränderten Soja- und Reispflanzen einführten. Dicamba ist chronisch leichtflüchtig und sorgte für eine Klagewelle durch geschädigte Nachbarn von behandelten Feldern, deren konventionelle Kulturen geschädigt wurden (6).
Probleme sind im Reisanbau in der Türkei bekannt. In Deutschland und Frankreich gibt es jedes Jahr wieder die Forderung von Biobauern-Verbänden nach dem Verbot der sich ausbreitenden Pestizide Pendimethalin und Prosulfocarb. Letzeres ist das nach Glyphsat am zweithäufigsten eingesetzte Totalherbizid. Es führte schon zu Grenzwertüberschreitungen bei konventionellem Kartoffelanbau in Frankreich (7).
Die einzig denkbare Lösung ist ein kontrollierter, weitgehender und natürlich für die Bauern kompensierter Ausstieg aus dieser Form der industriellen Landwirtschaft. Man könnte ja mal ernsthaft mit der vom NABU geforderten Reduzierung des Pestizideinsatzes anfangen.
Bernd Wille
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Quellen
(1)Pestizide finden sich auch in unseren Schlafzimmern: http://39du.r.mailjet.com/nl2/8rg6/5rzs9.html?m=AL4AAK1QhYoAAchlnewAAAR9hC4AAAAAPRwAABG2AAt5nABhSaytBpmN-1TDTgCsiVVow-MVAgALjkA&b=4ea2f964&e=58cf8534&x=SckoYTz9aW1nxxUq-i3jQcwVShtZNvE8yb0wGGux3Q4
(1)Klassifizierung: GHS globally harmonized hazard classification, Konvention von Rio de Janeiro 1992. Die Klassifizierungen sind CRI = CMR1A (Known human carcinogen (H340), mutagen (H350) or reproductive toxicant (H360) based on human evidence), dito: CMR1B , ("presumed" statt "known"), CRII = CMR2 ("suspected" statt "Known"). Es handelt sich also um (CRI) anerkannt humancarcinogne, mutagene, reproduktionstoxische Substanzen bzw. solche (CRII) von denen es nur vermutet wird.
(5) Abdrift in Obstanbaugebieten
Ramona Cech, Johann G. Zaller, Angeliki Lyssimachou, Peter Clausing, Koen Hertoge, Caroline Linhart,
Pesticide drift mitigation measures appear to reduce contamination of non-agricultural areas, but hazards to humans and the environment remain,
Science of The Total Environment, Volume 854,2023,158814, https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2022.158814.
(6) https://www.nytimes.com/2017/11/01/business/soybeans-pesticide.html
(7) Reis: "Our results indicate that individuals residing around a monoculture rice farming area comprise an at-risk group as a result of increased genotoxicity evidenced in human blood. We suggest that biological monitoring efforts should be used to control nonoccupational exposures "
Doğanlar, Z.B., Doğanlar, O., Tozkir, H. et al. Nonoccupational Exposure of Agricultural Area Residents to Pesticides: Pesticide Accumulation and Evaluation of Genotoxicity. Arch Environ Contam Toxicol 75, 530–544 (2018). https://doi.org/10.1007/s00244-018-0545-7
Biobauern:
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