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Manchmal kann die Politikwissenschaft einen besseren Blick auf die Chemikalienzulassung (hier vor allem Pestizide) bieten als juristische oder analytisch-chemische Untersuchungen. Es geht hier um die Frage:
Why does pesticide pollution in water persist?
Frank Hüesker a , Robert Lepenies b
a Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH, Permoserstraße 15, 04318 Leipzig, Deutschland
b Karlshochschule International University, Karlstraße 36-38, 76133 Karlsruhe, Deutschland
https://doi.org/10.1016/j.envsci.2021.11.016
Umweltwissenschaft und -politik 128 (2022) 185-193
"Eine aktuelle Studie zeigt, dass die gesetzlich zulässigen Konzentrationswerte in 81 % der kleinen Bäche überschritten wurden, in 18 % von ihnen diese Konzentrationen sogar gleichzeitig durch mehr als 10 verschiedene Pestizide überschritten wurden (Liess et al., 2021).
Ein Wandel hin zu einer nachhaltigen Chemikalienpolitik in der Landwirtschaft
ist notwendig: doch warum ist der übermäßige Einsatz von Pestiziden fest verankert? "
Ich habe einige Abschnitte aus dieser Studie mit deepl.com übersetzt und dem Programm etwas geholfen wo es chronische Probleme mit dem deutschen Satzbau hat. Dabei habe ich "lock-ins" nicht mit den gelegentlich auftauchenden Übersetzungen "Sperrungen", "Hemmnisse" oder "Verriegelungen" wiedergegeben sondern auf den schöne Denglischen Originalbegriff gesetzt weil er so deutlich auf den Aspekt einer "Verhakung" hinweist. Es lohnt sich , den (englischen) Originalartikel zu lesen und meine Übersetzung ist lückenhaft und keineswegs über alle Einwände erhaben.
Lock-ins bezeichnen "[die] Trägheit von Technologien, Institutionen und
und Verhaltensweisen, die einzeln und in Wechselwirkung das Tempo der systemischen
Veränderungen begrenzen.". Das Konzept ist z.B. gängig in Überlegungen zum Klimawandel
( siehe z.B. Karen C. Seto, Steven J. Davis, Ronald B. Mitchell, Eleanor C. Stokes, Gregory Unruh, Diana Ürge-Vorsatz
Die Autoren haben Interviews mit Entscheidern, Behördenvertretern, Industrierepräsentanten und NGOs geführt und systematisiert. Ich nehme mal einige der Hemmnisse heraus, die sie gefunden haben, und gebe jeweils einige Stichworte zu den Befunden:
"...die EU bewegt sich zunehmend in Richtung eines gefahrensensitiven Modells, das behauptet, den Umweltauswirkungen der von ihr zugelassenen Chemikalien große Aufmerksamkeit zu widmen (Bozzini, 2017). In vielen EU-Ländern ist jedoch eine häufige und flächendeckende Verschmutzung von Gewässern durch Pestizide zu beobachten. ...
4.1. Infrastrukturelle und technologische Lock-ins
4.1.1. Die Geschichte der Landnutzung und der verstärkende EU-Politikrahmen GAP
Experten sagen, dass solche Uferstreifen wirksam wären, aber der Vorschlag, auch nur ein paar
Zentimeter Puffer (Randstreifen) werden als "verfassungswidrige Enteignung" kritisiert. Dieses Beispiel zeigt, wie tief der ökonomisch-technologische Lock-in ist, da jede Einschränkung des Rechts, überall auf dem Hof zu sprühen, diskursiv als Enteignung aufgefasst wird.
4.1.2. Komplexe regulatorische Infrastruktur rund um die Zulassung von
einzelner chemischer Substanzen
In der derzeitigen Praxis wird die Risikobewertung als das Gegenteil einer
Anwendung des Vorsorgeprinzips beschrieben, weil jede denkbare Gefahr von den Behörden differenziert nachgewiesen werden muss, anstatt dass die Hersteller die Unbedenklichkeit
ihrer Produkte im Zweifelsfall nach der Zulassung nachzuweisen.
So entsteht ein Netzwerk aus Regulierungsbehörden, Antragstellern und Industrie
Forschung, die auf undurchsichtige und begrenzte Weise miteinander sprechen: Wir
bezeichnen dies als institutionellen Lock-in.
Eine Kernaussage unserer Interviewpartner ist, dass die Entscheidungsfindungs-
prozesse rund um die Zulassung einzelner Wirkstoffe kompliziert und nur für einen ausgewählten Kreis von Fachleuten nachvollziehbar sind.
...liegt der politische und rechtliche Schwerpunkt des des Zulassungssystems die Bewertung und das Management von Einzelstoffen - dabei ist die Gesamtbelastung der Ökosysteme das zentrale ökologische Problem. Doch genau das wird nicht gemessen.
4.2. Institutionelle Lock-ins
4.2.1. Regulatorische Vereinnahmung durch staatliche Akteure
Es ist viel darüber geschrieben worden, wie die Regulierungsbehörden von Lobbyisten der Agrochemie vereinnahmt wurden (Brickman et al., 1985; Demortain, 2017, 2019; Funtowicz und Ravetz, 1992; Jasanoff, 1992, 2003; Muilerman, 2018). Eines der häufig zitierten Probleme bei der Pestizidregulierung ist, dass die Hersteller von Pestiziden selbst die Studien zu den Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Ökosysteme durchführen, eineWahrnehmung, die unsere Interviews bestätigen.
So entsteht ein Netzwerk aus Regulierungsbehörden, Antragstellern und Industrieforschung, die auf undurchsichtige und begrenzte Weise miteinander sprechen: Wir bezeichnen dies als institutionellen Lock-in.
So werden im Diskurs der Entscheidungsträger die Vorteile der konventionellen
der konventionellen Landwirtschaft und der mit ihr verbundenen agrochemischen Industrie
dominant, und relativ einfache und effektive Strategien zur Pestizidreduzierung werden politisch nicht berücksichtigt. Diese institutionelle Verankerung in Bezug auf die regulatorische und konzeptionelle Erfassung stabilisiert die systematische Überbeanspruchung von Pestiziden.
4.2.2. Regulatorische Ignoranz
Wir waren überrascht, wie häufig wir auf staatliche Akteure trafen die die negativen Auswirkungen von Pestiziden auf die Gesundheit der Ökosysteme negieren. Diese Überraschung teilen wir mit Umweltwissenschaftlern
die wir befragt haben. Es gibt eine Apathie der staatlichen Akteure, die insbesondere mit der mangelnden Bereitschaft verbunden ist die allgemeinen Auswirkungen von Pestiziden auf Ökosysteme zu diskutieren.
4.3. Verhaltensbeschränkungen
4.3.1. Verbraucherinteressen
Unabhängig davon, ob die Beschreibung des Verbraucherverhaltens durch die Pestizidbefürworter nicht zutreffend ist, so ist es doch dieser Diskurs über Verbraucherpräferenzen und nationale Autarkie und des Paradigmas der sicheren, billigen und ästhetischen Lebensmitteln, der ein Verhaltens-lock-in darstellt.
4.3.2. Ausschluss der Zivilgesellschaft
Mächtige Akteure (Staat und Industrie) legen die Agenda für den Prozess fest und laden politische
(NGOs) ein, ohne diesen Akteuren wirklichen Einfluss zu geben. Wenn NGOs aus Protest aussteigen, werden sie beschuldigt, nicht teilzunehmen.
Fazit:
Der derzeitige Pestizideinsatz schadet den (aquatischen) Ökosystemen. Wir zeigen dass es infrastrukturelle/technologische, institutionelle und Verhaltensdynamiken gibt, die nicht-nachhaltige chemische Einschlüsse aufrechterhalten. Analysieren wir diese Lock-ins genauer und skizzieren die Art und Weise, wie staatliche Akteure regulatorische (Un-)Maßnahmen in vielen verschiedenen Aspekten der Regulierung von Pestiziden rechtfertigen. Wir stellen fest, dass staatliche Akteure nicht entgegenwirken, sondern chemische Lock-ins eher noch weiter verfestigen. Daher plädieren wir für eine analytische Wiederentdeckung des "Staates" in der Umweltpolitik und seiner Rolle in der Behinderung von Transformationen.
Obwohl es viele Beweise dafür gibt, dass Pestizide aquatische Ökosysteme verschmutzen und aquatische Ökosysteme schädigen, weisen viele unserer Gesprächspartner auf Entscheidungsträger auf allen Ebenen der Regierung hin, die dies nicht als Problem wahrnehmen und stattdessen ihre Maßnahmen (und den rechtlichen Rahmen) als ausreichend ansehen. Während die ökologischen Ergebnisse der Politik (= ungesunde Ökosysteme) in einer Fülle von wissenschaftlichen Studien als völlig unzureichend angesehen werden, finden wir, dass fast alle relevanten staatlichen Akteure auf allen politischen Ebenen das bestehende Regulierungssystem grundsätzlich für angemessen halten. Es ist die Rolle, die die öffentlichen Akteure bei der Aufrechterhaltung und Perpetuierung eines Systems von Pestiziden, auf die wir uns hier konzentriert haben."
B.Wille
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