Einige Hilfen zum Verständnis der letzten Stellungnahmen für Leute die - wie ich - gelegentlich Schwierigkeiten haben die Debatte zu verfolgen. (23.2.21, modifiziert 24.2.21 Bernd Wille)
Es dreht sich um einer Reihe von Stellungnahmen (1) der EFSA (Europäische Lebensmittelbehörde)
Die EFSA gibt auf Anforderung z.B. der EU-Kommission Stellungnahmen zu Regulierungen des etablierten Verfahrens (4)(5) der Risikobeurteilung von genetisch modifizierten Organismen ab. Das EU Lebensmittelrecht verlangt solche Risikobeurteilungen. Die EFSA gibt dazu Guidelines heraus, die eventuell in EU Durchführungsbestimmungen umgesetzt werden. Dazu gibt es dann Stellungnahmen zur Anwendbarkeit dieser Guidelines. Das Verfahren ist also mehrstufig und sehr kompliziert. Die eigentliche Freigabe erfordert noch Zustimmung der Kommission und der betroffenen Staaten.
Und die Ansicht Gentechnik-kritischer Organisationen dazu
Zusammenfassende Stellungnahme von Testbiochem zu GM-Crops https://www.testbiotech.org/sites/default/files/Fragen_Antworten_und_Fakten_CRISPR_und_Co.pdf
Worum geht es?
Die EFSA hat ihre Stellungnahmen in viele kleine Stückchen auseinandergenommen.
Zur Erklärung:
(siehe z.B. http://www.nbtplatform.org/background-documents/factsheets/factsheet-site-directed-nucleases.pdf)
SDN = site directed nucleases, also Enzyme, die an spezifischen Stellen (directed) DNA spalten. Die Typen:
Typ 1 kein Einbau fremden Genmaterials, Deletion oder Umordnung des Genoms
Typ 2 Einbau eines kleinen Bruchstücks “one or several small sequence changes in the genomic code”
Typ 3 Einbau längerer Gensequenz (typische CRISPR-Anwendung)
ODM: Oligonucleotide directed mutagenesis: Oligonucleotid in Zelle eingebracht, das vom Reparaturmechanismus ins Genom eingebaut wird.
Synthetic Biology: Was das genau ist weiß eigentlich niemand. Wikipaedia:
“Im Unterschied zur Gentechnik werden nicht nur z. B. einzelne Gene von Organismus A zu Organismus B transferiert, sondern das Ziel der synthetischen Biologie ist es, komplette künstliche biologische Systeme zu erzeugen. Diese Systeme sind der Evolution unterworfen, sollen aber bis zu einem gewissen Grad „mutationsrobust“ gemacht werden.”
Sagen wir mal so: es handelt sich um noch massivere Genomveränderungen.
Zusammengefasst: Wir reden hier von Regeln für Risikoabschätzungen und daher handelt es sich um eine Strategie zu versuchen ob man für irgendeinen Teilbereich mit weniger Prüfaufwand durchkommt.
Was tun diese Techniken?
Eingriff ins Genom, man beachte, dass der Einbau (oder die Deletion) eines einzelnen Nucleotids z.B. über eine Verschiebung des Leserasters (frame shift) die korrekte Ablesung der Peptidsequenz für ein Enzym verhindern kann. Das könnte dann z.B einen ganzen Stoffwechselweg ausschalten und zu massiven Schäden führen. Keine Frage, dass das Einschieben von längeren Sequenzen riskanter ist. Daraus läßt sich aber nicht ungekehrt auf die Harmlosigkeit von Einzelbasenveränderungen schließen. Bei der Klassifizierung von Veränderungen nach der Anzahl der eingeführten Nucleotide handelt es sich also um ein klassisches Ablenkungsmanöver.
Gleiches gilt für die Klassifizierung nach dem Mechanismus: für die Wirkung – wenn wir mal von den unabsichtlichen Nebenwirkungen absehen – ist der Mechanismus völlig egal: es zählt die Erbgutveränderung.
Ein ähnliches Ablenkungsmanöver ist die beliebte Klassifizierung nach cis und trans- Genes je nachdem ob es sich um Genmaterial einer verwandten oder nicht verwandten Art handelt. Das hatte die EFSA schon mal anerkannt (6) ".. dass ähnliche Gefahren mit cisgenen und konventionell gezüchteten Pflanzen verbunden sein können, während neuartige Gefahren mit intragenischen und transgenen Pflanzen verbunden sein können". Auch hier zählt nur, dass es sich um einen massiven Eingriff mit mehr oder weniger unabsehbaren Folgen handelt, ganz gleich welches Material an der (möglicherweise) falschen Stelle neu eingebaut wird und - ja, artfremdes Material ist eventuell riskanter... - siehe oben.
Das funktioniert wirklich – das EFSA-Gremium hat’s zumindest zum Teil geschluckt:
"Im Gegensatz zu den SDN-3-Methoden zielt die Anwendung der SDN-1-, SDN-2- und ODM-Ansätze darauf ab, genomische Sequenzen so zu verändern, dass Pflanzen entstehen, die kein Transgen, Intragen oder Cisgen enthalten. Folglich kommt das GVO-Gremium zu dem Schluss, dass die Überlegungen, die sich speziell auf das Vorhandensein eines Transgens, Intragens oder Cisgens beziehen, die in Abschnitt 4 und den Schlussfolgerungen des Gutachtens zu SDN-3 enthalten sind... nicht relevant sind." (2) Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)
- womit das EFSA-Panel hinter schon mal gehabte Erkenntnisse zurückfällt (6).
Aus den Testbiochem-Stellungnahmen:
https://www.testbiotech.org/aktuelles/efsa-risikobewertung-von-pflanzen-aus-neuer-gentechnik-keine-gene-eingefuegt
https://www.testbiotech.org/aktuelles/efsa-verwirrung-um-risiken-der-neuen-gentechnik-bei-pflanzen
“Die EFSA behauptet in ihrer gestern veröffentlichten Stellungnahme, dass mit dem Einsatz von Gen-Scheren wie CRISPR/Cas an Pflanzen keine spezifischen Risiken einhergingen, wenn keine zusätzlichen Gene eingefügt werden. ...
In der Stellungnahme der EFSA geht es um Verfahren, die als SDN-1 und SDN-2 (site directed nucleases) bezeichnet werden. Dabei wird das Erbgut von Pflanzen mithilfe von Gen-Scheren wie CRISPR/Cas gentechnisch verändert, ohne zusätzliche Gene einzufügen. Diese Verfahren sind die derzeit am häufigsten eingesetzten Verfahren der Neuen Gentechnik bei Pflanzen. ...
Doch mit den Risiken solch komplexer genetischer Veränderungen, wie sie für die Mehrheit der bisherigen NGT-Pflanzen typisch sind, befasst sich die Stellungnahme der EFSA überhaupt nicht. Dies liegt möglicherweise an einer weitreichenden Fehleinschätzung: Die EFSA ordnet NGT-Pflanzen mit derartigen Eigenschaften der „synthetischen Biologie“ zu.”
“ Testbiotech kritisiert auch, dass die EFSA in ihrem jetzigen Bericht nur einen kleinen Ausschnitt der relevanten Risiken benennt. So befasst sich die EFSA vorwiegend mit den beabsichtigten Veränderungen und nicht mit ungewollten Effekten, die mit dem Einsatz der Gentechnikverfahren einhergehen.
Klarheit über die Risiken der Neuen Gentechnik wird jedenfalls dringend benötigt. So wird derzeit im EU-Parlament über die Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission beraten. Einige Abgeordnete fordern in diesem Zusammenhang eine Deregulierung der Neuen Gentechnik an Pflanzen. Zudem diskutiert die EU-Kommission über eine eigene Stellungnahme zur Neuen Gentechnik, die voraussichtlich im April vorgelegt werden soll.”
Entscheidend:
“Gleichzeitig stimmt die Behörde aber der Aussage von Testbiotech zu, dass die Neue Gentechnik das Erbgut von Pflanzen auf neue Weise für Veränderungen verfügbar macht und ganz neue genetische Kombinationen ermöglicht, indem das Erbgut beispielsweise an mehreren Stellen gleichzeitig verändert wird.”
Damit bleibt die Überprüfung der Risiken bestehen und der Hauptzweck der Kampagen ist nicht erreicht. Leider wird aber schon angekündigt, dass für einen Teil der GMOs mit weniger kompexen Veränderungen einfachere Verfahren denkbar sind. Kleiner Trost: die GM-Crops um die es vor allem ging, also die mit vielen Veränderungen werden jetzt der synthetischen Biologie zugeordnet und möglcherweise in Zukunft strenger geprüft.
Hierbei entwickelt das Panel anhand von einigen -wohlgemerkt hypothetischen – Fällen bemerkenswerte hellseherische Fähigkeiten:
(7) “Anhand der ausgewählten Fälle kommt das GMO-Gremium zu dem Schluss, dass die Anforderungen des EU-Rechtsrahmens und der bestehenden EFSA-Leitlinien für die Risikobewertung von SynBio-Produkten, die in den nächsten zehn Jahren entwickelt werden sollen, angemessen sind, auch wenn die spezifischen Anforderungen möglicherweise nicht für alle Produkte gelten. ”
Auch wenn diese Hellseherei das Panel am Ende doch nicht völlig überzeugt:
“Für zukünftige SynBio-Pflanzen können die resultierenden Phänotypen jedoch komplexer sein als die in den ausgewählten Fallstudien betrachteten (z. B. veränderte Pflanzenzusammensetzung und Nährwert, verbesserte Photosynthese, erhöhte Toleranz/Resistenz gegenüber abiotischem und biotischem Stress, bessere Stickstoffexposition, veränderte Interaktionen zwischen Pflanze und Mikrobiom), was eine Herausforderung für die derzeitigen Ansätze zur Risikobewertung darstellt.”
Damit aber bleibt erstmal alles beim alten:
heute werden solche Sorten in der Regel von der EFSA durchgewunken.
Assessment of genetically modified
maize MON 87427 × MON 87460 × MON 89034 × 1507 × MON 87411 × 59122 and subcombinations, for food and feed uses, under Regulation (EC) No 1829/2003 (application
EFSA‐GMO‐NL‐2017‐139)
https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/6351
Anm: Testbiotech - von uns häufig zitiert - wurde 2008 als Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie gegründet Förderer sind Bundesamt für Naturschutz, Bundesminist. f. Bildung, Bundesminst. für Umwelt, Mercator-Stiftung, Gekko
(1)Scientific opinion addressing the safety assessment of plants developed using Zinc Finger Nuclease 3 and other Site‐Directed Nucleases with similar function
https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.2903/j.efsa.2012.2943
Applicability of the EFSA Opinion on site‐directed nucleases type 3 for the safety assessment of plants developed using site‐directed nucleases type 1 and 2 and oligonucleotide‐directed mutagenesis
https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/6299
Evaluation of existing guidelines for their adequacy for the molecular characterisation and environmental risk assessment of genetically modified plants obtained through synthetic biology
https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/6301
(2) “Unlike for SDN‐3 methods, the application of SDN‐1, SDN‐2 and ODM approaches aims to modify genomic sequences in a way which can result in plants not containing any transgene, intragene or cisgene. Consequently, the GMO Panel concludes that those considerations which are specifically related to the presence of a transgene, intragene or cisgene included in section 4 and the conclusions of the Opinion on SDN‐3 are not relevant to plants obtained via SDN‐1, SDN‐2 or ODM as defined in this Opinion. Overall, the GMO Panel did not identify new hazards specifically linked to the genomic modification produced via SDN‐1, SDN‐2 or ODM as compared with both SDN‐3 and conventional breeding. Furthermore, the GMO Panel considers that the existing Guidance for risk assessment of food and feed from genetically modified plants and the Guidance on the environmental risk assessment of genetically modified plants are sufficient but are only partially applicable to plants generated via SDN‐1, SDN‐2 or ODM. Indeed, those guidance documents’ requirements that are linked to the presence of exogenous DNA are not relevant for the risk assessment of plants developed via SDN‐1, SDN‐2 or ODM approaches if the genome of the final product does not contain exogenous DNA.”
Applicability of the EFSA Opinion on site‐directed nucleases type 3 for the safety assessment of plants developed using site‐directed nucleases type 1 and 2 and oligonucleotide‐directed mutagenesis
https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/6299
(3)EFSA GMO Panel (EFSA Panel on Genetically Modied Organisms), 2011. Guidance for risk assessment
of food and feed from genetically modied plants EFSA Panel on Genetically Modied Organisms (GMO). EFSA Journal
2011;9(6):2193. https://doi.org/10.2903/j.efsa.2011.2193
(5)EFSA GMO Panel (EFSA Panel on Genetically Modied Organisms), 2012a. Scientic opinion addressing the safety assessment of plants developed using Zinc Finger Nuclease 3 and other Site-Directed
Nucleases with similar
function. EFSA Journal 2012;10(10):2943. https://doi.org/10.2903/j.efsa.2012.2943
(6)EFSA GMO Panel (EFSA Panel on Genetically Modied Organisms),
2011Scientific opinion addressing the safety assessment of plants developed through cisgenesis and intragenesis
https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2012.2561
"The Panel concludes that similar hazards can be associated with cisgenic and
conventionally bred plants, while novel hazards can be associated with intragenic and transgenic plants."
7)https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/6301
Evaluation of existing guidelines for their adequacy for the molecular characterisation and environmental risk assessment of genetically modified plants obtained through synthetic biology
“Using the selected cases, the GMO Panel concludes that therequirements of the EU regulatory framework and existing EFSA guidelines are adequate for the riskassessment of SynBio products to be developed in the next 10 years, although specic requirementsmay not apply to all products. The GMO Panel acknowledges that as SynBio developments evolve, aneed may exist to adjust the guidelines to ensure they are adequate and sufficient.”
“However, for future SynBio plants resulting phenotypes may be more complex than those
considered in the selected case studies (e.g. altered plant composition and nutritional value, improved
photosynthesis, increased tolerance/resistance to abiotic and biotic stress, better nitrogen fixxation,
altered plant–microbiome interactions), therefore challenging current risk assessment approaches.”
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